Auswertung zur Besetzung der Tiefe3

Es sind 3 Wochen vergangen seit die Immobilienfirma Immovaria GmbH die Tiefe Straße 3 im Leipziger Osten räumen ließ.

Heute erstrahlt das Instagramm Profilbild der Firma in bunten Farben: eine Regenbogenflagge anlässlich des Pride-Month. Damit versucht sich Immovaria als junges, alternatives und queerfreundliches Unternehmen zu präsentieren, leugnet dabei allerdings gänzlich, dass ihr Konzept von Wohnen, geschweige denn ihre Mietpreise für kaum einen jungen alternativen und queeren Menschen erschwinglich sind.

Sollte auch nur ein winziger Funken an diesem versuchten Image dran sein, hätte Immovaria nicht ohne auch nur ein einziges Gespräch zu führen noch am selben Tag die Polizei zur Räumung der Besetzung angehalten.

Mit uns als LeipzigBesetzen wurde kein Kontakt aufgenommen, obwohl das Ordnungsamt sagte, dass “der Eigentümer sich das mal persönlich anschauen würde”. Unsere Angebote, unser veröffentlichtes Nutzungskonzept sowie unsere Gesprächsbereitschaft wurden einfach ignoriert. Stattdessen war Immovaria in den Stunden vor der Räumung damit beschäftigt, ihre “Projektliste”, mit denen sie sich auf der Website brüsten, zu bereinigen. Ein “Projekt T3” – also die Tiefe Straße 3 – gab es komischerweise nicht mehr, kurz, bevor die Polizei den Befehl zum Ausrücken bekam. Da dachte wohl jemensch, dass wir nicht wüssten, wer die seit mehreren Jahrzehnten leerstehende Tiefe Straße 3 aufgekauft hat.
(Heute finden sich auf Insta nur noch Innenansichten ohne Ortsbeschreibungen von ihren zu ungeheuren Summen an in Nürnberg und Leipzig renovierten Gebäuden. Wir fragen uns, wer ausfahrbare Mülltonnen als “Highlight” des Wohnens bezeichnet und wieso es in Badfliesen integrierte Fernseher braucht).
Denkmalschutz hat sich die Firma groß auf die Fahnen geschrieben. Stück und Schnörkeleien werden an Fassade und im Treppenhaus aufwendig restauriert und bieten einen stilistischen Kontrast zu einem hochmodernen Wohnungsinneren.

Wie an so vielen Orten wird Wohnraum immer teurer. Gentrifizierung ist kein Sonderfall des Leipziger Osten und dennoch macht sie sich hier derzeit stark bemerkbar. Von fast jedem Balkon sind Baukräne zu beobachten, wie sie an Neubauten arbeiten. Was zu mehr Wohnraum führen könnte, treibt derzeit hauptsächlich die Mieten hoch und macht Wohnraum für die finanziell eher schwach aufgestellte Bevölkerung des Leipziger Ostens unbezahlbar. Verdrängung ist eine Folge dieses Prozesses, denn nicht das Wohnraumschaffen steht im Vordergrund des Interesses sondern die Profitgenerierung einzelner Immobilienunternehmen – und mit Wohnraum lässt sich eine Menge Geld machen.

Dass der Staat und ihr Ausführungsarm – die Polizei – das Profitmachen schützt und unterstützt, konnten wir auch vor 3 Wochen wieder einmal erleben. Den ganzen Nachmittag waren die Beamt*innen großzügig anwesend, filmten Teilnehmende der Kundgebung ab, schickten Interessierte weg, regelten den Verkehr (die Verletzung der Kundgebungsteilnehmer*innen wurde in Kauf genommen, indem die Zweinaundorferstraße nicht gesperrt wurde), bis sie schließlich begannen die Menschen vor dem Haus zu drangsalieren, bevor sie mit der Räumung begannen. Um diese Durchzusetzen scheuten sie keine Mühen und flexten mit Hilfe der Feuerwehr mal eben einen Stahlzaun durch, um den Hinterhof der Tiefe3 zu betreten. Nachdem die Besetzer*innen aus dem Haus abgeführt wurden, kippte die Stimmung der Protestierenden. Sie waren sauer und versuchten alles, um die Bullen nicht durchzulassen. So kam es zu Straßenblockaden und Sprechchören, worauf die Polizei auf agressive Art und Weise reagierte. Sie fuhren in ihren Einsatzwägen auf Protestierende los, welche nur durch andere Anwesende von den Rädern zurückgezogen werden konnten. Mit Sprüchen wie “Fahr einfach drauf los” haben die Bullen wieder einmal bewiesen, dass sie niemals uns und unsere Interessen verteidigen werden.

Als langer Arm des Staates sehen sie uns als Feinde des Rechtsstaats an, was sich auch an dem übertriebenen Aufgebot am folgenden Tag zur Tag-X-Demo gezeigt hat. Bereits im Vorfeld der angekündigten Demo war der ganze Leipziger Osten von Bullenkarren gespickt, Räumpanzer und Wasserwerfer standen bereit und die gesamte Nacht über kreiste ein Heli übers Viertel. Eine ausführlichere Reflexion der Tag-X-Demo findet sich in einem extra Text (unter diesem).

Was wir nun festhalten wollen ist, dass diese Aktion uns wieder einmal gezeigt hat, dass wir uns die Stadt nehmen müssen. Unsere Straßen und Häuser unsere Parks dürfen keine Spekulationsobjekte von Großinvestor*innen sein. Dafür müssen wir gemeinsam kämpfen.

Unsere Solidarität gegen ihre Repression.

Auf einen Sommer der Besetzungen.

Auswertung der Tag X+1-Demo nach der Räumung der Tiefe 3

Wie alle Menschen, die am 12.6.2021 um 22:00 bei der Wurzner Straße waren, sehen konnten, haben die Cops die geplante Demonstration erfolgreich verhindert. Wir stehen zu der Entscheidung, zu einer Demo aufzurufen und finden es wichtig darüber zu reflektieren, warum der Tag nicht so gelaufen ist, wie wir uns ihn erhofft hatten. Wir sehen aber den Tag nicht als Niederlage. Es gab unserem Wissen nach keine Festnahmen. Die Nachrichten über die Aktionen und Demonstrationen die trotz des Bullenaufgebots passiert sind, haben uns sehr gefreut. Sie können uns nicht an jedem Ort und zu jeder Zeit aufhalten.

Zum Start die Frage, warum öffentlich zu einer Demonstration aufgerufen wurde:
Uns ist bewusst, dass die damaligen Corona-Regeln Demonstrationen verboten haben bzw. stark einschränkten (Wir finden solch eine Demo mit Masken und draußen hygienetechnisch verantwortbar). Es gab diesen Winter verschiedene Versuche damit umzugehen und Demonstrationen trotzdem zu ermöglichen. Versuche zu laufen nach angemeldeten Kundgebungen endeten in Polizeigewalt und Repression, Versuche nicht öffentlich zu mobilisieren haben kraftvolle Spontis ermöglicht, die aber der Reichweite an Menschen, denen wir die Möglichkeit zur Teilnahme geben wollen, eine klare Grenze aufzwingt. Unser Ziel im Vorhinein war es, durch die Größe der Demo das Laufen erzwingen zu können. Vor Ort waren tatsächlich zu wenig Menschen, um das so umzusetzen. Letztes Jahr waren auf Demos nach Räumungen über 500 Menschen. Warum diesmal nur 200 kamen hat sicherlich mehrere Faktoren. Der lange Tag der Besetzung und Räumung lag den Menschen in den Knochen. Zudem gab es eine große wichtige Demo in Connewitz am Nachmittag bzw. ein danach stattfindendes Straßenfest. Als wir sahen, dass wir nur einige hundert Menschen werden, haben wir versucht das Kräfteverhältnis durch einen dynamischen Start auszugleichen. Dabei hatten wir tatsächlich bestimmte Aufstellungen der Cops (die über „sie stehen in jeder Straße mit 20 Wannen“ hinaus gingen) nicht im Blick. Vermutlich war einfach jeder Weg durch die Cops abgeriegelt. Im Nachhinein wäre ein Aufzug mit so wenig Menschen wahrscheinlich eher ins offene Messer gelaufen. Wir haben uns dann entschieden, das ganze nach 20 Metern abzubrechen. Die Cops haben das Transpi, sowie die Böller und paar Flaschen die wir gehört haben sicherlich auch wahrgenommen und fühlen sich hoffentlich gehasst. Hier gab es dann Möglichkeiten auf dezentrale Aktionen, was anscheinend auch passiert ist. Wir haben in der Presse von mindestens 3 Sachen gehört.

Warum der Ort?
Wir sehen den Startpunkt immernoch als richtig an. Es gab viele dunkle Ecken, aber trotzdem war es offen genug, um nicht gekesselt werden zu können. Die Cops haben keine Erfahrung in dem Viertel. Das hat man daran gesehen, wie viele teils chaotisch angeordnete Wannen abstellt waren,  was weniger nach Plan als nach Einschüchterungsversuch aussah. Wir halten es für wichtig das solche Tag-X Demos auch durch die Viertel laufen, die eine Verbindung zur geräumten Besetzung haben. Über die Demo in Connewitz haben wir uns trotzdem gefreut. Hier wurde genutzt, dass die Bullen andere Gebiete im Fokus hatten.

Es kam dazu dass Einzelpersonen anfingen selbst zu Treffpunkten aufzurufen und diese auf der Demo weiterzusagen. An sich ist es toll, dass Menschen Eigeninitiative entwickeln. Wir würden uns aber in Zukunft darüber freuen, wenn dies uns oder anderen vorbereiteten Gruppen überlassen wird. Solch hektisches, unsensibles organisieren von Leuten sorgt nur dafür, dass die Cops das mitkriegen und Menschen beim nächsten Treffpunkt wieder in einen Kessel laufen. Solche unüberlegten Ansagen ohne konkreten Plan dahinter machen Vorbereitung anderer kaputt. Wir sind bemüht dass wir diese beim nächsten Mal klarer kommunizieren.

Dazu noch was an Jornalist_innen:
Wir finden es gut wenn fair von öffentlichen Aktionen berichtet wird. Das Veröffentlichen von geheimen Treffpunkten und das Filmen sowie Fotografieren von Menschen geht jedoch gar nicht und spielt in erster Line den Repressionsbehörden in die Hände. Demoteilnehmer*innen werden dadurch gefährdet und Aktionen verunmöglicht. Das ist unprofessionelles Arbeiten und lässt Vertrauen erlöschen.

Warum dieser Text?
Wir finden es wichtig unsere Reflektionsprozesse und Entscheidungsfindung transparent zu machen. Einerseits werden Dinge, die nicht klappten dadurch einfacher zu bewerten und Entscheidungen die unlogisch wirkten, haben vielleicht doch Gründe. Es ist wichtig Demonstrationen und andere kollektive Momente auszuwerten. Die Polizei macht dies eh schon und wir können als Bewegung dazu lernen. Wir haben Lust, auch weiterhin uns die Straße zu nehmen und unsere Wut über Räumungen, den Wohnungsmarkt und das kapitalistische System zu äußern. Wir wollen bestärkt aus unseren kollektiven Aktionen rausgehen und nicht Ohnmacht spüren. Dafür ist es wichtig, dass wir miteinander darüber reden, warum Sachen liefen wie sie liefen und wie wir sie nächstes Mal besser machen können.  Unsere Mail ist für (verschlüsselte) Kritik offen.

Wir freuen uns schon aufs nächste Mal, wenn wir uns während des Sommers der Besetzungen die Häuser und die Straße nehmen!