Prozessbericht vom 08.11.2022

Erster Verhandlungstag

I Allgemeines

Am 08.11.22 fand der erste Verhandlungstag des Prozesses zur Besetzung der Ludwigstr. 71 in Leipzig vom 28.08.21 bis 02.09.21 statt. Betroffen sind zwei Genoss*innen, denen Hausfriedensbruch nach §123 StPo vorgeworfen wird.

Die Verhandlung sollte um 14.00 Uhr im Saal 252 des Amtsgericht in der Bernhard-Göring-Str. beginnen. Zur selben Zeit begann eine Solidaritätskundgebung vorm Gericht. Es waren ca. 70 Unterstützende da.

Da auch viele mit im Gericht waren, wurde der Saal kurzfristig gewechselt.

Um den Prozess zu beobachten und die Betroffenen zu unterstützen, mussten alle Personen ihre Personalausweise abgeben, damit diese kopiert werden konnten, und alle Handys abgegeben werden. Zusätzlich wurde jede Person mit einem Metalldetektor abgescannt.

Mit etwas Verspätung wurde die Verhandlung 14.20 Uhr vom zuständigen Richter Müller eröffnet. Die Staatsanwaltschaft wurde von Herrn Herre vertreten. Die Genoss:innen werden von ihren Anwält:innen verteidigt.

Nach der Überprüfung der persönlichen Daten der Betroffenen und der Verlesung der Anklage, bekamen die Betroffenen das Wort. Sie gaben eine Erklärung zum Vorfall ab. Diese war ein kämpferisches Statement für Hausbesetzungen und gegen die Gentrifizierung, welches vollständig vorgetragen und im Anschluss von einem langanhaltenden Applaus durch die Unterstützenden im Saal beantwortet wurde.

Das ganze Statement könnt ihr hier https://leipzigbesetzen.noblogs.org/post/2022/11/16/statement-im-gericht-08-11-22/ nachlesen.

IV Zeug:innen

1. Hauseigentümer Udo Heng

Als erster Zeuge wurde Udo Heng, der Hauseigentümer der Ludwigstr. 71, vernommen. Er gab an, dass ihm das Haus seit ungefähr 2016/2017 als alleiniger Besitzer gehöre. Er habe den Plan gehabt, es auszubauen, was durch die eigene Lebensplanänderung und die Coronazeit jedoch nicht stattgefunden hätte. Die Bauplanung endete vor drei bis vier Jahren. Konkrete Pläne zur Nutzung des Hauses gäbe es aktuell nicht. Wohnraum würde er dort nicht schaffen wollen, da die Wohnungen 50m² betrügen und „ so niemand leben wollen würde“. Er habe sich nicht für das Konzept des Wächterhauses entschieden, da der Bauzustand dies, seiner Meinung nach, nicht zuließe. Das Bauamt Leipzig hätte dazu keine Einschätzung getroffen. Er führte außerdem an, dass der Ausbau durch die Besetzung nun unattraktiver sei.

Er bestätigte, dass Menschen eventuell vor der Besetzung das Haus nutzten, bspw. als Obdach oder Nutzungsplatz für Drogenkonsum, sah aber keinen Anlass dafür, das seiner Angaben nach einsturzgefährdete Haus zu sperren.

Er hätte der Polizei zu ihrem Schutz vor ihrem Räumungseinsatz berichtet, dass sich das Haus in einem gefährlichen Zustand befinde.

Er behauptete, dass der Hinter – und Vordereingang durch einen Riegel und Vorhängeschloss nicht ohne Aufwand zu betreten gewesen wäre. Er selbst wäre ein paar Wochen vor der Besetzung das letzte Mal Vorort gewesen. Als ihm Fotos des Hauses von innen vorgehalten wurden, erkannte er das Haus, jedoch erinnerte er sich an einen anderen Zustand, der auf den Fotos zu sehen war.

Von der Besetzung hätte er durch einen Anruf der Polizei erfahren. Nachdem er selbst zwei Tage später an dem Haus vorbeifuhr, hätte er sich entschlossen härter vorzugehen. Dies begründete er vor Gericht damit, dass das Gebäude eine Gefahr für die Besetzenden darstellen würde.

Wo er die Strafanzeige tätigte oder warum es zwei Strafanträge waren, wusste er nicht mehr.

Für ihn stellte die Besetzung eine Bedrohungslage dar. Auf Nachfrage bestätigte er, dass es um eine Bedrohungslage seines Eigentums ginge.

Es habe den Versuch einer Kontaktaufnahme durch die Besetzenden gegeben, den er jedoch nicht annahm, weil er sich „nicht erpressen lassen“ würde. Nach einem Vorhalt eines LVZ-Artikels, gab er an, dass es doch anfangs die Überlegungen zu Gesprächen gegeben hätte. Er hätte ein „unsägliches Schreiben“ erhalten, von dem er jedoch nicht genau wüsste, ob es von den Besetzenden direkt kam. Dies enthielte Worthülsen, welche Menschen in gut und böse eingeteilt hätten. Auf Nachfrage bestätigte er, dass er sich unter „böse“ kategorisiert sah. Im Weiteren legte er offen, dass ihm insgesamt drei Immobilien gehörten. Ein Wohnhaus in Frankfurt am Main, die Ludwigstr. 71 und die Ludwigstr. 69 in Leipzig.

Nach der Räumung, wäre er nicht noch einmal ins Haus gegangen, sondern hätte es sofort zumauern lassen. Er beschrieb sich der BILD Zeitung gegenüber als „der Leidtragende der ganzen Sauerei“. Er erläuterte, dass er damit die Kosten für u.a. das Zumauern meinte.

Auf die Frage der aktuellen Sicherheitsmaßnahmen der Immobilien, wollte er sich aufgrund der „Bedrohungslage“ nicht äußern. Daraufhin mussten einige Unterstützer:innen lachen.

Die Nachfrage nach einer damaligen Person, die das Haus betreute, wurde nach einiger Diskussion damit beantwortet, dass er die Daten eines Handwerkers unter Ausschluss der Öffentlichkeit vorne beim Richter aufschrieb. Diese Person wird im Laufe der/s nächsten Verhandlungstage/n eventuell als Zeuge geladen.

2. Zeuge Martin Schulz

Als nächstes wurde der Polizist Martin Schulz geladen. Er war als Teil der Beweis – und Festnahmeeinheit an der Räumung beteiligt.

Schulz räumte ein, dass er sich an fast nichts erinnere und verwies bei fast allen Fragen auf den Bericht, den er damals geschrieben hatte.

Um die verbarrikadierte Haustür aufzubrechen, benötigte die Polizei technische Geräte. Er erinnere sich nicht mehr, mit wem er in der Einheit Vorort war. Sie trafen im Gebäude keine Person an. Schulz sagte aus, er habe durch das Fenster im 2. Stock zwei Personen über den Hinterhof weggehen sehen. Er erinnerte sich nicht an das Aussehen der Personen und hatte auch nach der Sichtung nicht gesehen, was passiert wäre. Über Funk hätte er dann mitgeteilt bekommen, dass zwei Personen gestellt worden wären.

Dies steht auch im Bericht. Auf Nachfrage, warum dies im Bericht steht, obwohl er selbst nicht dabei gewesen ist, sagte er aus, dass er über die Informationsweitergabe mit Kollegen, das Wissen erlangt und es deshalb in den Bericht geschrieben hätte.

Er berichtete, dass das Haus nicht bewohnbar gewesen wäre, aufgrund des Mülls und der Barrikaden. Zum baulichen Zustand wollte er sich nicht äußern. Bezüglich einer Warnung des Hauseigentümers zum baulichen Zustand erinnerte er sich nicht mehr und verwies auf die standardmäßige Eigensicherung von Polizeibeamt:innen bei betreten eines Hauses.

3. Zeuge Toni Stoll

Der dritte Zeuge war ebenfalls Polizist und Teil der Beweis – und Festnahmeeinheit. Er berichtete, dass die Einheit um 6.00 Uhr morgens Vorort gewesen wäre und die Durchsuchung im Haus angefangen hätten. Er selbst blieb draußen und bekam über Funk mitgeteilt, dass zwei Personen das Gebäude verlassen. Er erinnerte sich nicht mehr daran, wer ihn angefunkt hätte. Die Personen konnte er nur vage beschreiben. Eine Person, die er als männlich eingeordnet hatte, hätte einen Irokesenhaarschnitt gehabt. Zur zweiten Person (die der Richter als weiblich eingeordnet hatte) konnte er nichts sagen. Eventuell war die Kleidung der beiden Personen verschmutzt gewesen. Die Personen seien über den Zaun im Hinterhof der Nr. 67 geklettert und dann durch die Haustür der Nr. 67 auf Polizeibeamt:innen aus Chemnitz gestoßen. Die Personen seien festgestellt worden und an ihn zur Identitätsfeststellung und Durchsuchung übergeben worden. Dies wurde ihm per Funk mitgeteilt. Er selbst hat es nicht gesehen. Er habe die ID – Behandlung und Durchsuchung durchgeführt, da ihm von seinen Kollegen mitgeteilt wurde, dass die Personen Tatverdächtige seien. Der Polizeibeamte Wittek hätte die beiden Personen aus dem Fenster beobachtet und Herrn Stoll gegenüber bestätigt, das es sich um die Verdächtigen handeln würde.

Was bei der Identitätsfeststellung festgestellt wurde, wusste er nicht mehr und verwies auf seinen Bericht. Als er mit der ID-Behandlung fertig war, übergab er die zwei Personen an den Transportwagen, der sie zur erkennungsdienstlichen Behandlung auf die Polizeistation in der Dimitroffstraße bringen sollte.

Er erinnerte sich an keine weiteren ID – Behandlungen zu diesem Vorfall.

V Versuch auf Einstellung

Die verteidigenden Anwälte versuchten daraufhin die Verhandlung frühzeitig und ohne Urteil zu einem Ende zu bringen, jedoch ließ sich der Staatsanwalt Herre darauf nicht ein. Auf die Nachfrage, warum er dies nicht wolle, nannte er keine Gründe und meinte, dass er sich nicht rechtfertigen müsse.

Der Richter Müller verwies auf zwei Zeugen, die aus Krankheitsgründen nicht erschienen waren und sprach die DNA – Spuren an, die im Haus gefunden worden waren. Die Verteidigung wies daraufhin, dass DNA – Spuren über Gegenstände wie Essensvorräte und Zettel in das Haus hätten gelangen können.

4. Zeugin Luise M.

Die Verhandlung wurde mit der Vernehmung von einer ehemaligen Anwohnerin aus dem Haus Nr. 67 fortgesetzt.

Sie beschrieb, dass morgens um 6.00 Uhr Kettensägen Lärm machten und viel Polizei auf der Straße stand. Dann hat sie mit ihren Kindern gefrühstückt.

Durch ein Fenster hat sie zwei Personen über die Mauer im Hinterhof klettern sehen. Auf dem Grundstück der Nr. 71 hat sie keine Person gesehen. Die Personen konnte sie, abgesehen davon, dass sie Mützen getragen hätten, nicht beschreiben.

2014 hätte ein Gerüst an der Nr. 69 gestanden und es hätte geheißen, dass jemand das Haus gekauft hätte und es nun ausbauen wollte. Das Gerüst hätte noch lange dort gestanden aber es wäre nichts mehr passiert. In das Haus Nr. 69 und 71 wäre es kein Problem gewesen über den Hinterhof nachts unbemerkt in die Häuser zu kommen, weswegen sie nicht ausschließen würde, dass dort Leute über die Jahre in den Häusern gewesen sein könnten.

Die Besetzung hätte sie erst nicht mitbekommen, weil sie im Urlaub gewesen wäre. Später waren viele Menschen auf der Straße, was sie aber nicht gestört hätte. Sie hat sich nicht mit den Leuten unterhalten. Sie erinnerte sich daran, dass die Besetzung Aufmerksamkeit auf den Leerstand in Leipzig machen sollte. Der Eigentümer plante keine Renovierung. Sie erinnerte sich nicht daran, ob die Häuser Nr. 69 und 71 offen oder verschlossen gewesen wären. Sie hätte nicht gesehen, ob an dem Haus etwas renoviert wurde durch die Besetzenden.

Es hätte eine Kommunikation durch die Besetzenden an die Nachbar:innen gegeben. Sie hätte einen Zettel im Briefkasten gehabt, in dem sich ein gutes Miteinander gewünscht wurde. Vielleicht hätte es auch mehrere solcher Briefe gegeben. Über ein Treffen zwischen Besetzenden und Nachbar:innen wüsste sie nichts.

Einen direkten Kontakt zu den Leuten vor oder in dem Haus hätte sie nicht gehabt aber einmal als sie auf dem Balkon gestanden hätte, hätte sie eine Person beim Zähne putzen gesehen. Die Personen im Haus hätte sie nicht beschreiben können, außer dass ihre Kleidung eher dunkel gewesen sei.

5. Zeugin Sylvia Ronneberger

Anschließend hat die Polizeibeamtin Sylvia Ronneberger ausgesagt. Sie war in der Polizeistation in der Dimitroffstraße und hat einen der betroffenen Personen entgegengenommen. Sie erinnerte sich nicht mehr von wem. Sie hätte die Person belehrt und entlassen. Sie selbst war an dem Tag nicht Vorort in der Ludwigstraße gewesen.

6. Zeugin Kristin Simon

Es folgte die Aussage von der Polizeibeamtin Kristin Simon. Sie war ebenfalls auf der Polizeistation und bekam die andere betroffene Person übergeben. Die Frage nach einer Beschuldigtenaussage, hätte die betroffene Person verneint. Auf die Frage, ob die Beamtin sich die Fotos auf dem Telefon der betroffenen Person angucken könnte, hätte die Person zugestimmt. Ein weiterer Beamter der SokoLinx hätte ein Fotomotiv wiedererkannt. Es hätte sich um einen Ort in dem Haus Nr. 71 gehandelt. Daraufhin hätte sie die Staatsanwaltschaft angefragt, dass Handy sicherzustellen.

Die betroffene Person hätte sich weder zu den Fotos, noch anderer Fragen geäußert. Fr. Simon erinnerte sich nicht mehr an die Kleidung. Die Kommunikation zwischen der betroffenen Person und Fr. Kaufmann sei freundlich gewesen, auch wenn die betroffene Person nicht viel sprach. Die Person unterschrieb nichts.

Die DNA-Entnahme und erkennungsdienstliche Behandlung wurde durch Fr. Götze durchgeführt. Fr. Simon erinnerte sich nicht mehr, ob sie auch dabei gewesen wäre. Der Grund für die ED – Behandlung sei die Wiedererkennung durch Zeug:innen. Es hätte sicherlich einen Beschluss gegeben aber genau erinnern würde sie sich nicht mehr. Die Durchsuchung durch Fr. Kaufmann wurde nicht allein durchgeführt. Ein Kollege sei immer mit dabei. Sie erinnere sich nicht mehr, ob die betroffene Person der Durchsuchung widersprochen hätte. Auf die Frage, ob der Kollege der betroffenen Person Gewalt oder unmittelbaren Zwang angedroht hätte, sagte sie nein. So etwas würde sie nie machen. Daraufhin mussten erneut einige Menschen im Saal lachen.

Es wurden keine weiteren Zeug:innen gehört.

Es folgte der Antrag, dass der Handwerker, dessen Name nicht genannt werden darf, geladen werden sollte.

Es wurde anschließend der zweimalige Strafantrag von Herr Heng gegen unbekannt verlesen und der Verhandlungstag um 17:20 Uhr beendet.

Der nächste Verhandlungstag ist der 21.11.22 um 10.00 Uhr im Amtsgericht in der Bernhard – Göring -Str. 64 in Leipzig. Kommt zahlreich und unterstützt die Betroffenen!