Prozessbericht zum zweiten Prozesstag am 21.11.22

Zweiter Prozesstag

21.11.22, Amtsgericht Leipzig

I Allgemeines

Am 21.11.22 fand der zweite und letzte Verhandlungstag im Prozess gegen die Betroffenen statt. Wie zuvor, gab es einige solidarische Menschen, die ihre Unterstützung im Gerichtssaal kundtaten. Auch diesmal mussten alle ihre Personalausweise abgeben, damit von ihnen Kopien angefertigt werden konnten. Zusätzlich zum Abscannen des Körpers mit einem Metalldetektor, wurden nun auch die Taschen durch einen Beamten durchsucht.

II Zeug:innen

1. Silvio H.

Als erstes wurde Silvio H. geladen. Udo Heng (Hauseigentümer) hatte ihn in der letzten Verhandlung als denjenigen benannt, der mit der Betreuung des Hauses in der Ludwigstraße 71 beauftragt gewesen wäre.

Silvio H. gab an, dass er das Haus im Zeitraum Juni 2020 bis September 2020 betreut hätte. Nach der Räumung hätte er das Haus zugemauert. Er habe vorher nichts mit dem Haus zu tun gehabt. Im Jahr 2022 habe er noch einmal mit einer Hebebühne außen nicht festsitzenden Putz abgeklopft. Zur Stabilität des Hauses konnte er nichts sagen.

Er wüsste auch nicht, wer vor ihm mit der Betreuung des Hauses beauftragt gewesen wäre.

Erklärung und Antrag der Verteidigung

Es folgte eine Erklärung der Verteidigung. Silvio H. sei nur im Zeug:innenstand, da Udo Heng, ihn explizit als denjenigen nannte, der sich um das Haus vor der Besetzung kümmerte. Dies stimmte offensichtlich nicht. Heng hätte nicht nur in diesem Punkt nicht die Wahrheit gesagt, sondern auch bzgl. der sozialen Erhaltungssatzung, die nach seinen Aussagen eine energetische Sanierung (Photovoltaik) verbieten würde. Dies ist nicht der Fall. Außerdem wurde ein solcher Antrag an die Stadtverwaltung nie gestellt. Die Verteidigung stellt den Antrag einen Zeugen der Stadtverwaltung zu laden.

Es wurde noch hinzugefügt, dass die Aussagen von Silvio H. bestätigen, dass Heng kein Interesse an dem Haus zeigte.

Die Staatsanwaltschaft, vertreten durch Herrn Herre, argumentierte, dass es für den Tatbestand nicht relevant sei, einen Zeugen der Stadtverwaltung zu laden.

Die Verteidigung erwiderte, dass die Glaubwürdigkeit von Udo Heng geprüft werden müsse. Der Antrag wurde abgelehnt mit der Begründung, dass die Verteidung in der Einschätzung zu Udo Heng‘s Glaubwürdigkeit Recht hat.

2. Herr Wittek (POM)

Herr Wittek war als Polizeibeamte mit an der Räumung beteiligt. Er gab an, sich kaum noch zu erinnern. Es wäre für die Öffnung der Tür eine Kreissäge gebraucht worden. Er sei mit Kollegen ins Haus gegangen aber habe niemanden angetroffen. Er war im gesamten Haus und erinnere sich nicht daran, dass der Hauseigentümer sie vor dem baulichen Zustand des Hauses gewarnt hätte. Er habe Stimmen im Nachbarhaus gehört, sei zum Fenster gegangen und habe eine Person mit Irokesenhaarschnitt über den Zaun des Nachbargrundstücks klettern und durch einen anderen Hauseingang Richtung Straße verschwinden sehen. Er habe dies per Funk weitergegeben.

Er erinnere sich nicht mehr, ob er die Personen, die schließlich festgestellt wurden, nochmal gesehen hätte.

Er erinnere sich auch nicht mehr, ob er einen Bericht geschrieben hätte.

Auf Nachfrage gab er an, an mehreren Räumungen beteiligt gewesen zu sein.

Erklärung Verteidigung

Die Verteidigung erklärte nach der Anhörung von Wittek, dass die Aussage des Zeugen Hengs Aussagen widersprechen würde. Dieser hätte angegeben, dass er die Polizei vor dem baulichen Zustand gewarnt hätte.

3. Adrian Bäßler

Als dritter wurde der Polizeibeamte Adrian Bäßler angehört. Er ist Teil der Beweis – und Festnahmeeinheit in Chemnitz.

Am Tag der Räumung habe er vor dem Hauseingang der Ludwigstr. 65 die Betroffenen festgestellt. Er erinnerte sich nicht mehr, ob die Personen auch aus dem Hauseingang gekommen waren. Über Funk sei ihm mitgeteilt worden, dass Menschen aus dem Hinterhof in die Ludwigstraße 65 gegangen seien. Er habe die Identitätsfeststellung durchgeführt. Die Betroffenen hätten nicht viel gesagt, außer dass sie bei einem Bekannten geschlafen hätten und wären nach der Identitätsfeststellung an andere Polizeibeamte übergeben worden.

Er erinnerte sich, außer an dreckige Kleidung, nicht mehr ans Aussehen der Betroffenen.

Er erinnerte sich an Transparente am Haus, sonst aber an kein Material, dass politische Botschaften verkündet hätte.

III Beweisanträge der Verteidigung

Die Verteidigung stellte zwei Beweisanträge.

Zuerst wurde ein Artikel der Internetzeitschrift „Immobilien Aktuell“ verlesen. Nach dem Artikel hätte der Hausbesitzer am 26.08.20 noch die Bereitschaft gehabt, mit den Besetzer:innen zu reden, wodurch die Besetzer:innen davon hätten ausgehen müssen, dass eine Einigung noch möglich gewesen wäre.

Nach einer Entscheidung des Amtsgericht Tiergarten in Berlin, würde es sich deshalb bis mindestens zum 26.08.20 nicht um Hausfriedensbruch handeln, da dieser nur bestehe, wenn Menschen sich gegen den Willen der:s Besitzers:in in einem Haus befinden würden.

Anschließend wurde die Bestätigung einer Flixbus-Reise am 23.08.20 nach Berlin vorgelegt. Demnach hätte einer der Betroffenen ab dem 23.08.20 nicht in der Ludwigstr. 71 sein können.

IV Letzte Statements von Staatsanwaltschaft und Verteidigung

Nachdem die persönlichen Umstände bzgl. Vermögen, Einkommen und beruflicher Zukunftsperspektiven erfragt wurden, hielten die Staatsanwaltschaft und die Verteidigung ihre letzten Erklärungen.

Die Staatsanwaltschaft vertrat die Meinung, dass es sich klar um Hausfriedensbruch handele. Die Betroffenen seien im Haus gewesen, auch wenn eine Person evtl. während einer kurzen Zeit in Berlin hätte gewesen sein können. Dass die Betroffenen im unmittelbaren Umfeld und Zeit aufgegriffen worden seien, einer Person einen Irokesenhaarschnitt trug, sowie die DNA-Spuren im Haus (von einer Person an Zahnbürste und Trinkflaschen, von der anderen Person an Perücken, Handschuhe, Schlafsack und weiteren Gegenständen); sprächen gegen die Betroffenen.

Das Gebäude wäre nicht verschlossen gewesen und der entgegengesetzte Wille des Hausbesitzers sei klar gewesen, auch durch die Strafanträge, die schließlich gestellt wurden. Zu Gunsten der Betroffenen führte Herr Herre an, dass diese nicht vorbestraft seien und das Haus nicht saniert wurde. Zu Lasten wurde aufgeführt, dass es ein großes Polizeiaufgebot und Spezialwerkzeug für die Öffnung der verbarrikadierten Tür gebraucht hätte. Die Staatsanwaltschaft forderte für beide betroffene Personen jeweils 50 Tagessätze à 14€. Zudem das Tragen der Kosten des Verfahrens.

Daraufhin sprach die Verteidigung. Beim Betreten des Hauses durch die Polizei, wurden die Betroffenen nicht angetroffen. Es ist unklar, ob die Betroffenen überhaupt im Haus waren.

Vor dem Haus gab es eine Kundgebung über mehrere Tage, es hingen Transparente am Haus und über die Briefe an die Nachbar:innenschaft wurde deutlich, warum das Haus besetzt wurde. Die Verteidigung argumentierte, dass die Grundrechte schwerer wiegen würden als Udo Hengs Eigentum. Den Besetzer:innen könne, wenn überhaupt, nur eine sehr geringe Schuld zugewiesen werden. Es wäre ein Bagatelldelikt und das Verfahren hätte sofort wieder eingestellt werden müssen, denn Tatbestände müssen verfassungsgemäß verhandelt werden. Dies sei auch in dem Verfahren zur Tiefe Str.- Besetzung in Leipzig passiert.

Stattdessen wurde ein riesiger Aufwand betrieben, es wären z.B. über 80 DNA-Spuren untersucht worden. Wie die DNA der Betroffenen ins Haus gelangt ist, sei unklar.

Heng hat sich nicht um sein Eigentum gekümmert. Er hätte es verfallen lassen und ein Haus, dass als Wohnhaus gebaut worden ist, nun zumauern lassen und damit unbrauchbar gemacht. Es stelle nun eine Gefahr dar. Auch die soziale Erhaltungssatzung in dem Eisenbahnstraßen-Viertel sei Heng egal. Gegen solch ein Verhalten zu demonstrieren wäre das gute Recht der Besetzenden.

Es sei außerdem fragwürdig, ob es sich überhaupt um ein befriedetes Besitzgut handele. Dafür hätte es mit einer zusammenhängenden Schutzvorrichtung verschlossen sein müssen. Dies sei nicht nachgewiesen. Wenn ein Haus nicht abgeschlossen ist, dürfe es betreten werden.

Selbst wenn es sich um Hausfriedensbruch handeln würde, wäre es ein legitimes Mittel gewesen, um gegen das Verhalten von Udo Heng zu demonstrieren. Es bestehe kein strafwürdiges Verhalten.

In Österreich bestehe ein Hausfriedensbruch nur, wenn es sich um eine Wohnstätte handele. In der Schweiz dürfe eine Räumung nur durchgeführt werden, wenn der:die Eigentümer:in sofort mit baulichen Maßnahmen beginnen würde. Auch in Deutschland in den 80iger Jahren wurde anders mit Besetzenden umgegangen. Es hätte entweder keine Anklage gegeben, es hätte zu einer Einstellung geführt oder aber zu einer Strafe am unteren Rand des Strafmaßes.

Die Verteidigung plädierte für einen Freispruch. Der Versuch der Nutzbarmachung eines Gebäudes sollte nicht strafrechtlich verfolgt werden.

Das letzte Wort vor dem Urteil hatten die Betroffenen. Sie lasen ein Statement vor, das ihr hier (https://leipzigbesetzen.noblogs.org/post/2022/11/21/letztes-wort-am-zweiten-verhandlungstag-21-11-2022/) nachlesen könnt.

Die Unterstützenden im Saal applaudierten, pfiffen und klatschten.

V Urteil

Die Betroffenen wurden schuldig gesprochen. Sie wurden zu je 30 Tagessätzen à 14€ verurteilt plus Prozesskosten.

Das Urteil wurde mit dem Demospruch „Miete verweigern, Kündigung ins Klo – Häuser besetzen sowie so“ von den Unterstützenden im Saal beantwortet.

Der Richter begründete das Urteil damit, dass das Haus ein befriedetes Eigentum gewesen sei. Es sei verschlossen gewesen. Zu Gunsten der Betroffenen wurde angeführt, dass die Besetzung zwei Jahre her sei. Das Interesse durch den Eigentümer sei sehr gering gewesen. Das Recht der Betroffenen gegen das Verhalten Hengs zu demonstrieren hätten, die Betroffenen auch vor dem haus wahrnehmen können. Die Besetzenden haben das Haus mehr instand gesetzt als beschädigt. Außerdem seien sie nicht vorbestraft.

Sie seien deutlich kürzer im Haus gewesen, als die Anklage es aussagt. Zu Lasten wurde ihnen gelegt, dass sie das Haus verbarrikadiert hätten.

Nach einiger Beratung mit den Anwält*innen gehen die Betroffenen in Berufung.