Gewalt ist Teil des Problems – und das Problem hat System

Am vergangenen Donnerstag ist es zunächst rund um die Eisenbahnstraße und die Tage darauf in Connewitz zu Auseinandersetzungen mit der Polizei gekommen. Die Ereignisse von Donnerstag stehen in unmittelbarem Zusammenhang mit der Tag X+1-Demo infolge der Luwi71-Räumung. Die anschließenden Kämpfe in Connewitz verstehen wir auch als solidarische Reaktion auf eben jene und weitere Besetzungen. Daher möchten wir ein paar Zeilen zur Debatte um sogenannte politisch motivierte Gewalt in Leipzig beitragen. 
Wir haben als direkte Aktion eineinhalb Wochen lang das Haus in der Ludwigstraße 71 friedlich besetzt.¹ Innerhalb weniger Tage wurde die Luwi71 zu einem Treffpunkt in der Nachbar*innenschaft. Diskussionen um Wohnraum und selbstverwaltete Freiräume wurden über verschiedene politische Spektren hinweg wieder zum Gesprächsthema. 
Von Beginn an signalisierten wir Stadt und Eigentümer unsere Verhandlungsbereitschaft, wir haben Nutzungsmöglichkeiten erarbeitet und Gespräche angeboten
Es hat uns gefreut, dass Vertreter*innen von Ämtern und Parteien bereit waren mit uns ins Gespräch zu kommen, sich mit unserem Anliegen zu solidarisieren oder ernst gemeinte Kritik zu äußern. 
Im Endeffekt schienen sie aber auch nicht sonderlich viel ausrichten zu können oder hatten es mit der Unterstützung vielleicht doch nicht ganz so ernst gemeint. Gleichzeitig finden wir es bedauerlich, wie schnell sich einige Menschen abwenden, wenn Andere bereit sind Konflikte weiter zu führen, anstatt vor der Androhung von staatlicher Gewalt zu kuschen. 
Der Staat und seine ausführende Gewalt sitzen bei Hausbesetzungen auf kurze oder lange Sicht fast immer am längeren Hebel. Entsprechend ist die Aussage des Eigentümers Udo Heng, er hätte sich erpresst gefühlt, ziemlich absurd.² Spätestens als wir erfuhren, dass dieser nicht mehr für Gespräche bereit sei, mussten wir uns auf eine zeitnahe Räumung einstellen. Von der angeblichen Verhandlungsbereitschaft Hengs erfuhren wir auch nur durch Zeitungsartikel, nie aber durch direkten Kontakt. Bis zum Platzenlassen des Treffens waren alle Gespräche – metaphorisch gesprochen – wie mit der Pistole im Anschlag.
Die Polizei ist in gesellschaftlichen Diskursen niemals Gesprächs- und Verhandlungspartnerin. Die Polizei ist die ständige Absicherung des Staates, der Stadt, der Ämter und der Eigentumsverhältnisse. Und sie wird gerufen, wenn wir uns in Konflikten nicht an die Etikette halten. 
Wir haben es gewagt, das unumstößliche Recht auf Privateigentum und dessen Rolle in Bezug auf Wohnungsnot, steigende Mieten und Verdrängung nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch in Frage zu stellen und bekamen als Antwort Zuckerbrot und Peitsche zu spüren. Einerseits Gesprächsbereitschaft von einzelnen städtischen Akteur*innen – andererseits ständige Räumungsgefahr. Die letztendliche Reaktion darauf war der Überfall 60 Vollvermummter mit Kettensäge und Maschinenpistolen, nachdem der formale Besitzer sein Wohlwollen zurückgezogen hatte. Spätestens wenn die Polizei involviert ist, gibt es keine Gespräche mehr und die Komplexität von Aushandlungsprozessen wird zu einem einfachen Entweder/Oder. Entweder wir lassen uns vom schlagenden Knüppel einschüchtern oder wir nehmen uns die Häuser und Straßen unseres Stadtteils der Repression und Kriminalisierung zum Trotz. 
Der Angriff auf die Luwi71 am Mittwochmorgen war ein Angriff auf einen Teil unserer Nachbarschaft anders als das tagtägliche Racial Profiling, die Zwangsräumungen, Abschiebungen, die Belästigungen von Jugendlichen durch Cops, die Illegalisierung von Lohnarbeitenden ohne Arbeitsvertrag aber genauso ein Angriff. 
Wir verstehen somit, dass Menschen im Viertel Wut und Hass auf Polizist*innen haben. Polizist*innen sind immer die Vollstrecker*innen der herrschenden Ordnung. Konflikten um soziale Fragen und diversen Lebensrealitäten begegnen sie mit Gewalt und Strafe. 
Unter der Annahme, dass Gewalt immer zu Gegengewalt führt, muss sich gefragt werden, welche Gewalt zuerst da war. Der Pflasterstein war es nicht. Wer von all der erwähnten strukturellen Gewalt nicht sprechen will, darf sich über die Wut selbstbewusster Nachbar*innenschaften nicht wundern.
Unsere Solidarität gilt Allen, die im Laufe der letzten Tage festgenommen wurden und die in den kommenden Monaten Strafverfahren ewarten. Zur selben Solidarität rufen wir auch all diejenigen auf, die es mit der Unterstützung für die Luwi71 ernst meinten. Die wenigsten Kämpfe können widerspruchsfrei geführt werden und aufeinander aufzupassen bedeutet manchmal auch, solche Widersprüche aushalten zu können. Wir lassen keine*n allein! 
Für rebellische Kieze und eine Stadt von unten!